2021 Thunfisch und Wahlfisch

Stefan Knittel, MotoPur Mitglied, schrieb für uns einen exklusiven Bericht : Thunfisch und Wahlfisch von Parodi (100 Jahre Moto Guzzi)

Danke Stefan.

Thunfisch und Walfisch

Vom Einkaufen in Italien habe ich mir eine schöne Thunfisch-Blechdose mit der Aufschrift Angelo Parodi und dem Adler mitgenommen. Name und Greifvogel hätten nichts mit Moto Guzzi zu tun, dachte ich lange Zeit. Im Internet war auch nur von Zufall die Rede, der Familienname Parodi käme besonders in Genua sehr häufig vor. Aber der Thunfisch und die Walfisch-Vollverkleidung der Moto Guzzi V-8 haben doch etwas gemeinsam, beide stammen sie tatsächlich aus einem Familien-Unternehmen. Den ersten Hinweis fand ich im Text des Gesellschafter-Vertrags vom 15. März 1921 zur Gründung der Società Anonima (Aktiengesellschaft) „Moto Guzzi“. In einem zweibändigen Werk des Gemeindearchivs von Mandello del Lario konnte ich noch etwas mehr darüber nachlesen:

Angelo Parodi war ein sehr vielseitiger und erfolgreicher Geschäftsmann in Genua. Mitte des 19. Jahrhunderts verfügte er über mehrere Drogerie-Filialen in der Hafenstadt, erfand dann 1888 eine Konservierungsmethode für Fisch in Olivenöl zur Verpackung in Weißblechdosen. Seinen 26-jährigen Sohn Emanuele Vittorio betraute er mit der Ausweitung des Fisch-Großhandels. Parodi Junior unternahm zunächst viele Reisen, unter anderem nach Norwegen um dort den Einkauf von Stockfisch (luftgetrockneter Kabeljau, Dorsch oder Seelachs) zu regeln. Danach widmete er sich der Logistik und begann Schritt für Schritt eine eigene Flotte aufzubauen, seine Reederei sollte bis 1940 mehr als 60 Schiffe umfassen.

Man kann also bei Emanuele Vittorio Parodi durchaus von einem  wohlhabenden Unternehmer sprechen, als ihn sein 21-jähriger Sohn Giorgio Parodi Ende 1918 in einem Brief, den er von der Königlich-Italienischen Seeflieger-Staffel in Venedig aus sandte, um die Finanzierung einer Geschäftsidee bat. Parodi Enkel wollte zusammen mit zwei Freunden eine Motorradfabrik gründen. Carlo Guzzi hatte zwar keine abgeschlossene Ausbildung als Techniker vorzuweisen, doch seine Begeisterung für Motoren, sein Talent und vielfältige Erfahrungen auf diesem Sektor hatten ihn zu den Seefliegern in die Motoren-Werkstatt geführt. Der 29-jährige Mechaniker wollte ein komplett neuartiges Motorrad konstruieren und entwickeln, der Flieger Giorgio Parodi sollte die Finanzierung organisieren. Als Dritter im Bunde war der 31-jährige Rennfahrer und Fliegerheld Giovanni Ravelli für Werbung und Schlagzeilen durch künftige Rennerfolge vorgesehen.

Emanuele Vittorio Parodi willigte ein und stellte als Startkapital „zwischen 1500 und 2000 Lire für erste Experimente“ zur Verfügung. Bis zum ersten Prototyp, den die Zeitschrift „Motociclismo“ am 15. Dezember 1920 ihren Lesern präsentieren konnte, dürften noch einige Lire mehr aus Genua nach Mandello am Comer See geflossen sein. Das Motorrad mit den Buchstaben „G.P.“ am Tank (Guzzi-Parodi) wies einen liegenden Zylinder auf, vier Ventile, obenliegende Nockenwelle, Königswellen-Steuerung, Dreiganggetriebe im Block, außenliegende Schwungscheibe – also recht viel technischen Aufwand für die damalige Zeit. Emanuele Vittorio Parodi ließ die Maschine von einem vertrauten Sachverständigen aus Spanien (!) überprüfen und bereitete die Erweiterung seines Firmenimperiums vor.

Beim Notar Dr. Paolo Casanetto in Genua wurde schriftlich fixiert, daß der Vorstand der „Società Anonima Angelo Parodi“ (Kapital 3 000 000 Lire) Emanuele Vittorio Parodi auch Vorstand des neuen Unternehmens sein wird. Sein Sohn Giorgio Parodi, Neffe Ingenieur Angelo Parodi und der Verwalter Gaetano Belviglieri wurden mit der Geschäftsführung der jeweiligen Teilbereiche betraut. Giovanni Ravelli war nicht mehr dabei, er war 1919 bei einem Flugzeugabsturz tödlich verunglückt. Es heißt, der Adler als Tankemblem aller Motorräder von Moto Guzzi seit 100 Jahren sei als Andenken an ihn und die Seeflieger-Staffel zu sehen. Wenn man jedoch den Vogel auf der Thunfisch-Dose, jenen des Staffel-Abzeichens und den auf den Motorrädern miteinander vergleicht, wird man jeweils andere Details feststellen, das Wiedererkennungsmerkmal war jedoch mit Sicherheit ganz bewußt so gewählt worden.

Eine interessante Geschichte verbirgt sich hinter der Aufteilung des Startpakets an Aktien:  S.A. Angelo Parodi (Emanuele Vittorio Parodi) – 4600 Aktien zu 100 Lire, Giorgio Parodi, Angelo Parodi, Gaetano Belviglieri, Carlo Guzzi je 100 Aktien zu 100 Lire. Carlo Guzzi hatte keinen Geschäftsführer-Posten, er sollte Konstruktion, Entwicklung und Fertigung leiten, war aber nicht beim Unternehmen angestellt, sondern arbeitete auf Provisionsbasis für seinen Freund und Kameraden Giorgio Parodi. Dieser wiederum hatte sich zunächst einmal um Bau und Einrichtung der Fabrikanlagen an der Straße von Lecco nach Mandello in Tonzanico zu kümmern. Die Adresse lautet seit 1955: Via Emanuele Vittorio Parodi, Mandello del Lario. Carlo Guzzi und seine Familie konnten bis zu seinem Tod 1964 gut durch die Vereinbarung mit der Familie Parodi leben. Allerdings hatten sich bei letzterer einige Dinge geändert, es begannen sich Fehlplanungen bei Moto Guzzi und Spekulationsgeschäfte mit anderen Unternehmensbereichen ungünstig auszuwirken. Das Motorradunternehmen in Mandello – Geschäftssitz nach wie vor in Genua – ging 1966 aus den Händen Enrico Parodis (Giorgios Bruder und Nachfolger von Emanuele Vittorio als Moto Guzzi-Chef) in staatliche Verwaltung über. Erst 1973 kam mit Alejandro de Tomaso wieder ein neuer Unternehmer zum Zug. Zwanzig Jahre danach begannen sich Investoren einander die Türklinke in die Hand zu geben, bis am 14. April 2000 Ivano Beggio Moto Guzzi und Aprilia zusammenführte. Dessen Unternehmen wurde 2004 von Roberto Colaninno übernommen, der sich den immer mächtiger werdenden Konkurrenten für Piaggio-Vespa auf dem Motorroller-Sektor in seine Unternehmensgruppe einverleiben wollte und die Banken bewegen konnte, Beggios Kredite fällig zu stellen. Moto Guzzi gehört damit nun seit 17 Jahren zu Piaggio, womit sich wiederum ein historischer Bogen geschlossen hat, denn wer war einst einer der Hauptkonkurrenten von Emanuele Vittorio Parodi als Reeder in Genua? Erasmo Piaggio aus der Familie der späteren Flugzeug- und Motorroller-Fabrikanten.

Thunfisch und Wahlfisch

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