Stefan Knittel, der Motorrad Journalist, hat für uns einen Bericht über den DESMO-Versuch von NORTON verfasst. Ein sehr interessanter und technischer Bericht.
Gerade jetzt wo wieder einmal Schluss mit dem Motorradbau unter dem Markennamen Norton ist, tun wohl einige Rückblicke gut. Und ganz etwas Besonderes liegt in Form von Notizen und Abbildungen schon seit längerer Zeit in einer meiner Schubladen.
Norton Desmo
Tief religiös und ein unermüdlicher Denker war James Lansdowne Norton, der Gründer des gleichnamigen Unternehmens. Der 29-jährige Werkzeugmacher begann 1898 Ketten und weitere Fahrradkomponenten herzustellen. Komplette Rahmen sollten folgen, im November 1902 präsentierte er das erste Motorrad mit seinem Namen am Tank. Der Antrieb stammte vom französischen Hersteller Clement, später wechselte er zu hubraumstärkeren Aggregaten von Peugeot bevor er ab 1908 eigene Einzylinder mit seitengesteuerten Ventilen zu bieten hatte.
Er schwörte zwar auf diese Bauweise – und sv-Einzylinder sollte es bei Norton bis 1954 im Programm geben – aber seine Gedanken galten doch auch möglichen Verbesserungsmaßnahmen. Die Ventile von oben in den Brennraum hängen zu lassen, versprach einen schnelleren, vollständigeren Gaswechsel und damit auch neue Möglichkeiten zur Leistungssteigerung. Allerdings galt es auch gravierendere Auswirkungen im Falle eines Ventilabrisses zu bedenken. Die Übertragung der Ventilbewegung von Nocken über Stößel, Stoßstangen und Kipphebel war nicht nur aufwändig, sondern erschien James L. Norton auch zu wenig steif und haltbar.
Bei seinem ersten Konzept von 1919 behielt er diese Ventilsteuerung bei, setzte aber am Ventil selbst mit seiner Änderung an indem er das Kipphebelende den Ventilschaft zwischen der Ventilführung und einer darüber eingeschraubten Haltehülse umgreifen ließ. Auf Ventilfedern an ihrem eigentlichen Ort glaubte er verzichten zu können, kräftige Tonnenfedern seitlich am Zylinder zwischen Stößelführung und Stoßstange sollten genügen.
Der erste Norton ohv-Motor entstand jedoch 1921 in konventioneller Ausführung mit Ventilfedern und Kipphebeln welche auf die Enden der Ventilschäfte wirkten. James L. Norton gab sich noch nicht zufrieden und brachte seine Idee der Ventilbetätigung in drei Patentanmeldungen der Jahre 1922-24 heraus. Die Steuerung sollte nun noch wesentlich direkter erfolgen indem Kurvennuten für die Bewegung der Ventile zuständig waren. Zuerst sollten zwei Kurvenscheiben vertikal auf dem Zylinderkopf angeordnet werden, ihre Antriebswelle über einen Kettenantrieb mit der Kurbelwelle verbunden. In der zweiten Version war ein Königswellenantrieb zu einer horizontal angeordneten Kurvenscheibe mit zweireihiger Nut vorgesehen. Ventilfedern fanden sich an beiden Konzepten keine, die Zwangssteuerung der Ventile sollte diese überflüssig machen. So war es auch im Patent ausgewiesen.
Über eine Verwirklichung dieser Ideen, und sei es auch nur in Versuchsanordnungen, fehlt leider jeglicher Hinweis. James L. Norton starb 1925 an Darmkrebs und erlebte die legendären Rennerfolge seiner Marke mit Königswellen-Einzylindern, jedoch konventioneller Ventilbetätigung, nicht mehr. 32 Jahre später kam es erneut zu einer Patentanmeldung für zwangsgesteuerte Ventile an einem Einzylinder-Norton-Motor, diesmal im Namen des Firmenchefs Bert Hopwood und seines Chefkonstrukteurs Doug Hele.
Nach Saisonende 1954 waren einer Vereinbarung zwischen AMC (AJS, Matchless, Norton), Velocette, BMW und NSU zufolge keine technisch aufwändigen und teuren Werksrennmotorräder mehr angesagt. Tourist Trophy und Grands Prix sollten mit den für Jedermann käuflichen Kleinserien-Rennmodellen bestritten werden. In der Rennabteilung in der Birminghamer Bracebridge Street entstanden weitaus die größten Stückzahlen an Rennmotorrädern für Privatfahrer – 1955 allein sollten es 182 Norton Manx werden. Aus diesem Grund erschien eine schrittweise Weiterentwicklung durchaus vertretbar. Ultra kurzer Hub, einteilige Kurbelwelle mit außenliegender Schwungscheibe, Fünfganggetriebe, das wurde mit den 1954er-Werksmaschine beendet. Stattdessen gab es Feinarbeit am Einzylinder und dessen Ventilsteuerung mit zwei obenliegenden Nockenwellen.
Zwangssteuerung oder auch Desmodromik genannt, war in der Welt der Rennmotoren gerade angesagt. Mercedes-Benz hatte sie beim Formel 1-Comeback 1954 an den Reihen-Achtzylindern (Konstrukteur Manfred Lorscheidt) verwendet, Fabio Taglioni im gleichen Jahr bei einem 175 ccm-ohc-Rennmotor bei F.B. Mondial. Leonhard Ischinger schuf 1956 bei BMW dohc-Desmo-Zylinderköpfe für die BMW RS 54 und wiederum Fabio Taglioni einen Dreinocken-Desmo-Zylinderkopf für die 125 ccm-Rennmaschine bei Ducati.
Die Konstruktion der Desmo-Norton besticht durch ihre Einfachheit und war auf der Schnittzeichnung des umgerüsteten Manx-Motors gar nicht auf Anhieb zu erkennen. Geöffnet wurden die Ventile in gewohnter Weise von den beiden Nockenwellen über kurze Stößel. Der Schließmechanismus wurde mit jeweils einer Nockenscheibe auf dem jeweiligen Antriebszwischenrad und einem Schlepphebel hinzugefügt. Diese Schlepphebel griffen in eine Nut – mit Keilen gesichert – an den Ventilschäften ein.
Für den Versuchsaufbau wurden die Schlepphebel im Zylinderkopf gelagert, beim Motorrad für die 1959er-TT jedoch im Nockenwellengehäuse. Weder die 500er-Desmo-Norton 1959 noch die 350 ccm-Version im darauffolgenden Jahr konnten überzeugen, die Trainingsläufe ergaben keine Vorteile gegenüber den herkömmlichen Motoren. Dass noch erhebliche Versuchsarbeit bei den Steuerelementen, sowie neuen Steuerzeiten notwendig sein würde, war Doug Hele bewusst, doch Kapazitäten und Mittel gab es dafür nicht mehr. Das mussten vor gut zehn Jahren ebenso John Surtees und Jim Sewell erkennen, als sie unabhängig voneinander mit den erhalten gebliebenen Desmo-Manx-Brocken zu arbeiten begannen.
Brian Thomas in Neuseeland ging bei seiner Desmo-Replica einen anderen Weg, er orientierte sich an Ducati und verwendete je zwei Schlepphebel.
Jim Sewell sagte kürzlich am Telefon zu mir, dass er zusammen mit seiner „Gang“ immer noch bei der Sache sei. Wenn ich also mal wieder nach England fahren darf, werde ich berichten.
Stefan (14.04.2020)